Das Lied von Bernadette by Werfel Franz

Das Lied von Bernadette by Werfel Franz

Autor:Werfel, Franz [Werfel, Franz]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Mit diesen dämonischen Auflockerungen, die sich seit dem Urlaub der Dame immer noch vermehren, hängt vermutlich auch der Sündenfall François Soubirous’ zusammen. Soubirous hat seit zwei Wochen mindestens das Estaminet Vater Babous nicht mehr betreten. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste: die Wirtschaft Babous ist mittlerweile zur Bank der Spötter, zum Heim der Lästerer, zum Diskutierklub der Ungläubigen geworden. Es entspricht, auf einer niedrigeren Stufe, dem Café Français. Obwohl Soubirous nicht gerade als Vorkämpfer des Wunderglaubens auftritt, so ist er doch als Vater der Erstbetroffene jener himmlisch irdischen Unregelmäßigkeiten. Scham und Stolz verbieten es ihm, den schnapsduftenden und tabakgeräucherten Redeschlachten beizuwohnen, in denen entweder der Verstand oder die Wahrheitsliebe seines Töchterchens durch den Dreck gezogen werden. Ein anderer Grund aber ist wichtiger: François Soubirous hat ein stilles, aber starkes Gelübde abgelegt, bis auf weiteres dem Kräuterteufel zu entsagen. Und diesem Gelübde dient er nun schon seit vielen Tagen mit einer unerwarteten Willenskraft. Es wäre eine große Ungerechtigkeit, Soubirous einen schlichten Trunkenbold zu nennen. Schon sein echter Sinn für Würde läßt eine schandbare Aufführung nicht zu. Kein Mitbürger könnte behaupten, er hätte jemals den Müller Soubirous in sinnverwirrter oder torkelnder Verfassung angetroffen. Die zwei bis drei Achtelliter des Kräuterteufels, die der Vater der Wundertäterin zu seinem Glücke braucht, entsprechen genau dem Hohlmaß des Unglücklichseins, mit welchem er allmorgendlich erwacht. Merkwürdig genug, seit den so glanzbringenden Geschichten, die seine Bernadette aufführt, hat sich dieses Hohlmaß des Unglücklichseins nicht etwa verringert, sondern noch um ein gutes Stück erweitert. Bei all seinem Leichtsinn ist Soubirous ein schwerfälliger Mensch, der sich in Schwarzseherei gefällt. Der Ruhm, der nun seit einem Monat schon auf den Cachot niederregnet, erfüllt den Mann nicht nur mit Unruh und Besorgnis, sondern mehr noch mit einer heimlich dumpfen Eifersucht gegen die Ruhmbringerin. Er nimmt in seinem schweigsamsten Herzen der Tochter den überheblichen Glanz verdammt übel, den sie um den niedrigen Namen Soubirous gesammelt hat. Gleichzeitig natürlich sind manche Folgen dieses Glanzes recht angenehm. Gemischte Gefühle, wie man sieht. François Soubirous gehört zu jenen Verstockten, die aus dem »Untensein« die Süßigkeit eines vorwurfsvollen Hochmuts saugen. Da sind die Weiber anders, denkt er. Die freuen sich, wenn sie in das ungewaschene Maul der Leute kommen.

Um dem ehemaligen Müller sein inneres Gleichgewicht wiederzugeben, hätte es jetzt mehr bedurft als drei Achtelliter täglich. Er trinkt in strenger Erfüllung seines Gelübdes keinen einzigen. Es ist ein Kampf bis aufs Messer, den er gegen sich selbst führen muß. Der Zweck des Gelübdes besteht nach wie vor in dem Anliegen, es möge alles gut ausgehn, das heißt, sich im Sande verlaufen. Zugleich aber weiß François Soubirous auch, was er sich selbst als Vater einer Wundertäterin schuldig ist. Er geht daher jetzt täglich in die Kirche. Ebenso aber ist er gezwungen, mehrmals im Tage an Babou und an andern Schenken vorüberzuschleichen. Das bedeutet immer wieder einen Höhepunkt des Kampfes, der in ihm wogt.

Am zweiten Sonntag der Vakanz biegt er, vom Hochamt kommend, in die Rue des Petites Fossées ein. Da ereilt ihn vor dem Hause Vater Babous sein Schicksal in Gestalt des Polizisten Callet, des Brigadiers d’Angla und des Gendarmen Belhache.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.